Ihr
war kalt. So erbärmlich kalt. Zitternd streckte Miau sich und
schüttelte ihr schwarzes Fell. Weiße Flocken zierten ihr Haarkleid
und Schneeklumpen klebten ihr zwischen den Pfoten. Hungrig streunte
sie durch die Straßen. Sie waren verlassen und leer, denn kaum eine
Menschenseele war heute unterwegs. Heute war irgendetwas anders, Miau
wusste, spürte es. Seitdem vor wenigen Tagen die ersten
Schneeflocken den Boden berührt hatten, verändert sich alles. Auf
den Straßen wurde es hektischer, in den Häusern behaglicher.
Millionen von Lichtern erhellten die Stadt. Ihre eigene Welt indes
wurde einfach nur kälter. Einen warmen, trockenen Schlafplatz zu
finden, war fast unmöglich geworden und auch die Essenssuche erwies
sich als immer schwieriger. Fast jede Nacht schlief sie mit hungrigen
Magen in der Kälte, irgendwo so eng wie möglich zusammengerollt,
die Nase unter der Schwanzspitze versteckt.
Auf
der Straße zu leben war hart, das wusste Miau, aber im Winter wurde
es noch härter. Die Kälte ließ ihr Fell erstarren und ließ ihren
Lebensmut sinken. Früher, ganz früher hatte sie einmal ein anderes
Leben gehabt. Mit einer Familie, die sie liebten. Menschen, die sich
liebevoll um sie gekümmert hatten. Die ihr einen Namen gegeben
hatten. Ein Zuhause. Doch diese Erinnerungen waren in dichtem Nebel
verhüllt. Dumpf nur konnte sie sich noch an die Wärme erinnern. Die
Liebe und das Gefühl, eine Zuhause zu haben. Irgendwann waren ihre
Menschen einfach gegangen und hatten sie alleine zurückgelassen.
Einsam war sie dann auf einmal gewesen. Hätten Katzen weinen können,
Miau hätte sich die Seele ausgeweint. Mit nur anderthalb Jahren war
ihr kleines Katzenherz komplett entzwei gebrochen. Und es heilte nur
schwer.
Besonders
als die neue Familie sie vertrieb. Egal wie oft Miau auch zurückkehrt
und Geschenke mitbrachte, sie wurden immer energischer. Teilweise
sogar mit Schlägen und Tritten. Zuletzt schüttete einer der Männer
sogar heißes Wasser über sie aus. Wäre Miaus Herz nicht schon
gebrochen gewesen, wäre es noch mal zerbrochen. Seitdem lebte Miau
auf der Straße. Einsam, zerbrochen und verletzt. Dieses Leben war
hart, aber sie hatte ein Kämpferherz. Ein zerbrochenes zwar, aber
dennoch ein Kämpferherz. Sie lernte schnell und nahm die Regeln der
Straße in sich auf. Bis heute hatte sie sich mehr oder weniger gut
durchgeschlagen, aber dieser Winter war anders. Kälter. Härter.
Seit
Tagen hatte sie nicht mehr wirklich etwas gefressen. Ein Stück Käse
heute morgen war alles, was sie hatte auftreiben können. Und es sah
weiterhin schlecht aus. Drei Stunden streunte sie bereits durch die
Straßen. Schnee dämpfte die Geräusche ihrer Schritte. Doch nichts
ließ sich finden. Hungrig und müde suchte sie schließlich einen
alten, zugigen Schuppen auf. Dort rollte sie sich zu einem engen
Knäuel zusammen. Seit langem war dies der trockenste und wärmste
Platz für die Nacht, den sie hatte finden können. Mit einem leeren
Gefühl im Magen schob sie ihre rosa Nase unter den Schwanz und
begann zu träumen.
Wie
jede Nacht begann ihr Traum vom Fliegen. Sie saß auf einer üppigen
grünen Wiese und genoss die Sonne, die sanft ihr Fell liebkoste und
wärmte. Doch diesmal war etwas anders. Etwas schob sich in den Traum
und veränderte ihn. Leicht nur, aber doch wahrnehmbar. Ein Geräusch
drang an ihre Ohren und zerriss die Stille wie ein Peitschenschlag.
Erschrocken
erwachte Miau aus ihrem Traum. Eisiger Wind pfiff durch die Laube und
ein paar einzelne Schneeflocken wirbelten durch die Nacht. „Na, wen
haben wir denn da?“, die Stimme war tief und dumpf. Verängstigt
drückte Miau sich so tief in ihre Ritze wie es nur ging. Ängstlich
vibrierten ihre Schnurrhaare.
Na
na, wer wird den Angst vor einem alten, dicken Mann haben?“
Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte das stumpfe
schwarze Fell. Sofort strömte mollige Wärme durch die kalten
Glieder des Kätzchens, welches wollig schnurrte. „Ja so ist es
schon besser, nicht wahr, kleine Miau?“ Brummend streckte sie sich
und rieb ihren Kopf an seine Hand. Instinktiv spürte sie, dass sie
ihm vertrauen konnte und Miau hatte seit Jahren niemandem mehr
vertraut.
Ja,
habe ich also richtig gehört“, brummte er leise vor sich her.
„Eine kleine Katze die weint. Wie ungewöhnlich. Wie viel
Schlechtes musst du bereits erlebt haben! Eine Katze weint niemals
ohne Grund!“ Nachdenklich betrachtete er die magere Katze. „Was
ist dein größter Wunsch, hm?“ Seine Augen trafen die ihren und
ein breites Lächeln glitt über sein Gesicht. „Na, wenn es sonst
nichts ist.“ Behutsam hob er Miau hoch und trug sie nach draußen.
Es war still. Schneeflocken schwebten lautlos zur Erde nieder. Nur
das leise Scharren von Hufen war zu vernehmen. Hier und da auch ein
Schnauben oder das sanfte Spiel von Glöckchen. Miau schüttelte
sich, als sich eisig kalte Flocken in ihrem Fell verfingen. Und dann
sah sie es. Erschrocken richtet sie sich auf. Aufgeregt spitzte sie
die Ohren. Dort stand im diesigen Licht einer Straßenlaterne ein
riesiger Schlitten. Und davor standen sechs dampfende Rentiere im
Schnee. „Na, da staunst du, hm?“, tief dröhnte das Lachen durch
die Nacht. Ein tiefes, überraschtes Schnurren war ihm Antwort genug.
„Und jetzt werden wir einmal deinen größten Wunsch erfüllen.
Mit
Miau im Arm ging er zu dem ersten Paar der Rentiere und setzte Miau
auf einem der breiten Rücken ab. Überrascht wollte sie sich
festkrallen, als sie ein bittender Blick aus tiefbraunen Augen traf
und sofort zog sie ihre Krallen wieder ein um dem fremden Tier nicht
wehzutun. Kurz darauf erschien der Weihnachtsmann wieder mit einem
kleinen Geschirr, das er das Katze rasch überzog. Es passte perfekt.
„Ja, jetzt kann es losgehen. Nein Moment, etwas fehlt noch.“ Die
Hand des Mannes strich behutsam über Miaus Rücken und zwei Flügel
wuchsen heraus. Wunderschöne schwarze Schwingen. Vorsichtig bewegte
Miau diese und staunte nicht schlecht, als sie ein Stück vom
Rentierrücken abhob. „Ja, so ist es gut“, lachte der
Weihnachtsmann, so sehr, dass sein üppiger weißer Bart vibrierte.
Dann befestige er das Geschirr so, dass sie den Schlitten anführte
und kurz darauf erhob sich der Schlitten mit Miau in die Lüfte.
Die
Welt schien still zu stehen. Die Luft wurde nur vom hellen
Glockenklang erfüllt. Nur selten war daneben noch das Knirschen im
Schnee zu hören, wenn der Schlitten landete und die Rentiere
schnaubten. Die Nacht war lang und dennoch zu kurz. Miau war
glücklich, glücklicher als lange zuvor in ihrem Leben. Und doch
musste auch diese Nacht irgendwann ein Ende finden und schließlich
landeten sie wieder vor dem herunter gekommenen Schuppen. „So
kleine Katze, da sind wir wieder.“ Unglücklich ließ Miau ihre
Ohren hängen. „Sei nicht traurig kleines Kätzchen“, wisperte
eines der Rentiere. „Heute ist schließlich Weihnachten.“ Diese
Wort begleiteten Miau in den Schlaf.
Schritte.
Schritte? Miaus Ohren zuckten unruhig und als sie zusätzlich Stimmen
hörte, schrak sie entgültig aus dem Schlaf. „Mama, Mama, schau
doch mal.“ Zwei große Augen sahen sie an und jemand begann sie
hinter den Ohren zu kraulen. „Oh mein Gott, das arme Tier.“ Noch
eine Hand kraulte ihr zärtlich das Fell, doch Miau hatte keine
Angst, diesmal nicht. „Willst du ein Zuhause meine Kleine?“ Miau
streckte vorsichtig ihr Näschen aus und stupste die warme, zärtliche
Hand sanft an. Sanft hob das kleine Mädchen sie hoch und Miau
kuschelte sich schnurrend in ihre Arme. Zuhause, sie wusste, dass sie
endlich wieder zuhause angekommen war.
Weit
oben, in den Tiefen Lapplands lachte der Weihnachtsmann vergnügt.
„Ja, das ist dein allergrößter Wunsch gewesen, auch wenn du ihn
in deinem zerbrochenen Herz vergraben hattest. Willkommen zu Hause,
kleine Miau. Willkommen zurück im Leben!“
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all mein Geschribbsel auf Sternenfetzen
Das ist so eine schöne Weihnachtsgeschichte!
AntwortenLöschenDanke, dass du sie mit uns teilst. :-)
Vielen Dank und sehr gerne =)
LöschenWinterliche Grüße
Vivka